I Diagnose: Demenz - Krankheitsbild und Verlauf

I.1. Was ist eine Demenzerkrankung?

„Weg vom Geist“ bzw. „ohne Geist“ – so lautet die wörtliche Übersetzung des Begriffs „Demenz“ aus dem Lateinischen. Damit ist das wesentliche Merkmal von Demenzerkrankungen vorweg genommen, nämlich der Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit.

Am Anfang der Krankheit stehen Störungen des Kurzzeitgedächtnisses und der Merkfähigkeit, in ihrem weiteren Verlauf verschwinden auch bereits eingeprägte Inhalte des Langzeitgedächtnisses, so dass die Betroffenen zunehmend die während ihres Lebens erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten verlieren. Aber eine Demenz ist mehr, als eine „einfache“ Gedächtnisstörung. Sie zieht das ganze Sein des Menschen in Mitleidenschaft: Seine Wahrnehmung, sein Verhalten und sein Erleben.

Demenzerkrankungen können bis zu 100 verschiedene Ursachen haben. Grundsätzlich unterscheidet man zwischen primären und sekundären Formen der Demenz. Letztgenannte sind Folgeerscheinungen anderer, meist außerhalb des Gehirns angesiedelter Grunderkrankungen wie z.B. Stoffwechselerkrankungen, Vitaminmangelzustände und chronische Vergiftungserscheinungen durch Alkohol oder Medikamente. Diese Grunderkrankungen sind behandel- oder z.T. sogar heilbar. Somit ist häufig eine Rückbildung der dementiellen Beschwerden möglich. Zur Abgrenzung und rechtzeitigen Behandlung dieser Demenzerkrankungen ist eine frühzeitige Diagnose besonders wichtig.
Sekundäre Demenzen machen ca. 10 % aller Krankheitsfälle aus, 90 % entfallen auf die primären („irreversiblen“) Demenzen.


I.2. Demenzverursachende Krankheiten

Die Alzheimer-Krankheit ist mit einem Anteil von 50 % – 60 % die häufigste irreversible Demenzform. Es folgen mit ca. 20 % die gefäßbedingten (vaskulären) Demenzen. Eine Kombination der beiden Erkrankungen trifft auf noch einmal 15 % aller Patient(inn)en zu.


I.2.1. Die Alzheimer-Krankheit

Die Demenz vom Alzheimer-Typ ist eine degenerative Krankheit des Gehirns, während deren Verlauf die Nervenzellen des Gehirns irreversibel zerstört werden. Die Krankheit verläuft bei jedem/r Betroffenen unterschiedlich, man kann jedoch im Allgemeinen drei Stadien feststellen, die fließend ineinander übergehen. Von den ersten Symptomen bis zum Tod dauert sie durchschnittlich sieben Jahre.

Charakteristisch für die Alzheimer-Demenz ist ihr schleichender, nahezu unmerklicher Beginn. Am Anfang treten kleinere Gedächtnislücken und Stimmungsschwankungen auf, die Lern- und Reaktionsfähigkeit nimmt ab. Hinzu kommen erste Sprachschwierigkeiten, die Erkrankten benutzen einfachere Worte und kürzere Sätze oder stocken mitten im Satz und „verlieren den Faden“. Örtliche und zeitliche Orientierungsstörungen tauchen auf. Die Patient(inn)en werden antriebsschwächer und verschließen sich zunehmend gegenüber Neuem.

In diesem Stadium registrieren die Kranken bewusst die Veränderungen, die in ihnen vorgehen. Deswegen reagieren viele von ihnen mit Wut, Angst, Beschämung oder Niedergeschlagenheit. Im weiteren Verlauf der Krankheit werden die Symptome offensichtlich, Beruf und Autofahren müssen spätestens jetzt aufgegeben werden. Die kranke Person ist bei den Alltagsaufgaben wie Körperpflege oder Nahrungsaufnahme zunehmend auf die Unterstützung anderer Menschen angewiesen.

Kennzeichnend für dieses Stadium ist eine hochgradige Störung des Gedächtnisses; nahe Verwandte können nicht mehr namentlich benannt werden, das Zeit- und Ortsgefühl geht verloren und die Sprache wird undeutlich und inhaltsleer. Die Erkrankten können ihre Gefühle kaum noch kontrollieren, plötzliche Stimmungsschwankungen, Aggressionen und Depressionen treten verstärkt auf. Im Spätstadium ist der/die Kranke vollkommen auf Pflege und Betreuung anderer angewiesen. Familienmitglieder werden nicht mehr erkannt, eine verbale Verständigung ist unmöglich. Körperliche Symptome wie Gangunsicherheit, Schluckstörungen und Krampfanfälle treten vermehrt auf, die Kontrolle über Blase und Darm schwindet. Bettlägerigkeit erhöht die Gefahr von Infektionen. Die Kranken sterben häufig an einer Lungenentzündung.

Die Ursachen der Alzheimer-Krankheit sind bislang noch nicht ausreichend erforscht. Bekannt sind aber eine Reihe von Veränderungen im Gehirn, die bei Alzheimer-Patient(inn)en auftreten. Bei der Krankheit kommt es zu einem Absterben von Nervenzellen und ihrer Verbindung untereinander. Damit ist ein Rückgang der Hirnmasse verbunden (Hirnathrophie). Weiterhin werden Eiweiß-Ablagerungen (Plaques bzw. Fibrillen) im Gehirn sowie eine Verminderung eines für das Gedächtnis wichtigen Botenstoffs (Acetylcholin) beobachtet. Diese Veränderungen geben aber noch keine Auskunft über die Ursache der Entstehung der Krankheit.

Ein wichtiger Forschungsansatz ist deshalb die Suche nach so genannten Risikofaktoren. Genetische Faktoren spielen bei der Entstehung von Alzheimer eine untergeordnete Rolle. Eine Demenz-Erkrankung bei Verwandten ersten Grades – Eltern, Kinder oder Geschwister – erhöht das individuelle Risiko nur ganz gering. Nach schweren Kopfverletzungen ist das Risiko ebenfalls etwas höher.

Positiv wirkt sich dagegen geistige Aktivität aus: Intellektuell tätige Menschen erkranken seltener an der Alzheimer-Krankheit als Personen, die kaum geistig aktiv sind.

Hauptrisikofaktor für das Auftreten der meisten Demenzformen ist das Alter. Während in der Altersgruppe der 65- bis 70jährigen weniger als 3% an einer Alzheimer-Demenz erkranken, ist im Alter von 80 Jahren ungefähr jeder Fünfte, mit 90 Jahren bereits jeder Dritte betroffen.


I.2.2. Gefäßbedingte (vaskuläre) Demenzen

Bei vaskulären Demenzen kommt es infolge von Durchblutungsstörungen des Gehirns zu einem Absterben von Nervengewebe. Vom Ausmaß der Durchblutungsstörung ist abhängig, wie ausgeprägt die dementielle Folgeerkrankung ist.

Eine Form der vaskulären Demenz ist die „Multi-Infarkt- Demenz“. Hier verursachen wiederholte kleine Schlaganfälle das Absterben von Hirnzellen. Die Krankheitssymptome sind denen der Alzheimer-Krankheit sehr ähnlich, hinzu kommen aber körperliche Beschwerden wie Taubheitsgefühle, Störungen verschiedener Reflexe und Lähmungserscheinungen. Kennzeichnend für den Verlauf vaskulärer Demenzen sind ein plötzlicher Beginn, stufenförmige Verschlechterungen und ausgeprägte Schwankungen der Leistungsfähigkeit auch innerhalb eines Tages.

Als Hauptursachen gelten Faktoren, die ganz allgemein das Risiko von Gefäßerkrankungen erhöhen wie Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) und Rauchen.


I.3. Die Diagnose

Der schleichende Beginn der meisten Demenzerkrankungen ist die Ursache dafür, dass Defizite und auffällige Verhaltensweisen der Erkrankten oft erst im Rückblick als erste Symptome einer Demenz erkannt werden. Es ist aber ausgesprochen wichtig, dass Demenzerkrankungen möglichst frühzeitig diagnostiziert werden.

Ein kleiner Teil der dementiellen Erkrankungen (reversible Demenzen) kann durch Behandlungen wesentlich gebessert werden. Bei den primären Demenzen wie z.B. Alzheimer ermöglicht ein frühzeitiges Erkennen den Betroffenen, sich mit der Krankheit und ihren Folgen auseinanderzusetzen, bevor sie die Fähigkeit dazu verlieren. Wünsche können so noch erfüllt und bewusst genossen oder seit langem geplante Reisen angetreten werden.
Deshalb ist es wichtig, dass Angehörige vermeintliche Symptome nicht verdrängen, sondern sich aktiv mit ihnen auseinandersetzen.


I.3.1. Das Erkennen von dementiellen Erkrankungen

Woran erkennt man als Angehörige/r oder als Betroffene/r den Beginn einer Demenz?
Nicht jede Beeinträchtigung des geistigen Leistungsvermögens muss für sich genommen schon ein Alarmsignal sein. Antriebsschwäche ist oft ein bezeichnenderes Merkmal als „Vergesslichkeit“:
Hat z.B. jemand immer gerne Sport getrieben und äußert jetzt wiederholt seine Unlust, zum wöchentlichen Training zu gehen, kann das ein Symptom einer Demenz sein. Treten Gedächtnislücken regelmäßig auf und kommen weitere Merkmale wie Sprach- oder Orientierungsschwierigkeiten hinzu, sollte dringend zur Abklärung ein Arzt zu Rate gezogen werden.

Es ist oft nicht einfach, vermeintlich demenzerkrankte Angehörige zu einem Arztbesuch zu überreden. Gerade im Anfangsstadium der Krankheit versuchen viele Betroffene, ihre „Probleme“ vor anderen zu verbergen und Gedächtnislücken mit Hilfe von Merkzettelchen zu überspielen. Sie reagieren aggressiv oder ablehnend, wenn Angehörige sie auf „Schwierigkeiten“ oder „Fehler“ ansprechen. In einem solchen Fall hilft es, das Verhalten des/der Angehörigen über einen längeren Zeitraum schriftlich festzuhalten. Bei der Dokumentation sollten möglichst viele Personen wie Verwandte, Nachbarn oder Freunde mit einbezogen werden.

Mit einer solchermaßen angelegten Liste kann ein Arzt aufgesucht werden. Dieser erstellt dann eine vorläufige Diagnose, die bezüglich des weiteren Vorgehens Sicherheit gibt.
Auf keinen Fall sollte man den Verdacht einer Demenz verdrängen, denn eine vorzeitige Diagnose hebt die Lebensqualität der erkrankten Person entscheidend.

TIPP - WARNSIGNALE

Folgende Beschwerden können auf eine Demenzerkrankung hindeuten:

  • Vergessen kurz zurückliegender Ereignisse
  • Schwierigkeiten, gewohnte Tätigkeiten auszuführen
  • Sprachstörungen
  • Nachlassendes Interesse an Arbeit, Hobbys und Kontakten
  • Schwierigkeiten, sich in einer fremden Umgebung zurechtzufinden
  • Verlust des Überblicks über finanzielle Angelegenheiten
  • Fehleinschätzung von Gefahren
  • Bislang nicht gekannte Stimmungsschwankungen, andauernde Ängstlichkeit, Reizbarkeit und Misstrauen
  • Hartnäckiges Abstreiten von Fehlern, Irrtümern oder Verwechslunge


I.3.2. Medizinische Diagnose

Die medizinische Diagnose wird vom Hausarzt oder vom Facharzt für Neurologie und/oder Psychiatrie erstellt. Eine gründliche Untersuchung des körperlichen Gesundheitszustands, der geistigen Leistungsfähigkeit und der psychischen Befindlichkeit der Patient(inn)en ist notwendig, um die Demenz genauer zuzuordnen, die Ursache zu benennen und optimal behandeln zu können.

Die Diagnose „Alzheimer-Demenz“ ist nur im Ausschlussverfahren festzustellen. Wenn bei einer Demenz keine andere Ursache herausgefunden werden kann, wird eine „Demenz vom Alzheimer-Typ“ diagnostiziert.

Neben einer körperlichen Untersuchung sind Blutproben erforderlich, um beispielsweise Schilddrüsenerkrankungen auszuschließen. Hinzu kommt eine Aufnahme des Gehirns mit so genannten Bildgebenden Verfahren wie der Computertomographie oder der Kernspin-Resonanz-Tomographie, um den Verdacht auf Gehirntumore auszuschließen.

Zu der neuropsychologischen Untersuchung gehört es, mögliche Probleme des Gedächtnisses, der Sprache, des Planungsvermögens und der Aufmerksamkeit herauszufinden. Eine häufig dafür eingesetzte Untersuchungsmethode ist der Mini-Mental-State-Test. Dabei werden dem/der Patient/in Fragen vorgelegt wie:
Welches Datum haben wir?
In welcher Stadt befinden wir uns?
Wie heißt dieser Gegenstand? (Wobei eine Büroklammer o.Ä. vorgezeigt wird).

Die Testsituation kann für die betroffene Person sehr beschämend sein, vor allem wenn ein Großteil der Fragen nicht beantwortet werden kann. Zur Erstellung der richtigen Diagnose ist aber eine Überprüfung der geistigen Fähigkeiten notwendig, so dass dem/der Kranken optimal geholfen werden kann.

Es ist auch wichtig, dass Sie als Angehörige/r beschreiben, ob und in welchem Umfang Gedächtnisstörungen aufgetreten sind oder ob sich das Verhalten Ihres Familienmitglieds verändert hat:
Hat er/sie sich von gewohnten Aktivitäten zurückgezogen?
Bereiten alltägliche Verrichtungen wie beispielsweise das Zubereiten von Mahlzeiten Probleme?

Der behandelnde Arzt ist auf die Beobachtungen der Angehörigen angewiesen, denn die betroffene Person kann in der Regel ihre Situation nicht mehr richtig einschätzen. Dafür ist es sinnvoll, mit dem Arzt ein Gespräch „unter vier Augen“ zu suchen.


I.4. Die Behandlung

Eine Therapie, die zur Heilung führt, ist derzeit für die Mehrzahl der Demenzerkrankungen nicht möglich. Deshalb ist das Hauptziel der Behandlung, die Lebensqualität der Kranken und ihrer Angehörigen zu verbessern.

Die medizinische Behandlung bei Alzheimer-Patient(inn)en setzt zum einen bei der Verminderung des Botenstoffs Acetylcholin im Gehirn der Kranken an. Es werden Medikamente eingesetzt, die das Enzym hemmen, das für den natürlichen Abbau von Acetylcholin sorgt. Bei einem Teil der Patient(inn)en führen derartige Medikamente zu einer Verbesserung des Gedächtnisses und der Konzentrationsfähigkeit. Teilweise verzögern sie auch das Fortschreiten der Symptome, ein Stoppen des Krankheitsprozesses ist aber nicht möglich.

Zum anderen lässt sich das Fortschreiten der Erkrankung durch  NMDA (N-Methyl-D-Aspartat)-Antagonisten, die die Konzentration des Botenstoffs Glutamat erhöhen, deutlich aufhalten. Der Wirkstoff Memantine verändert die schädlichen Auswirkungen von Glutamat an den Rezeptoren. Auf diese Weise können Lernsignale wieder erkannt werden und die Alltagskompetenz der Patienten wird deutlich verbessert.

Darüber hinaus existiert eine Reihe von Medikamenten, mit denen Begleitsymptome von dementiellen Erkrankungen wie Unruhe, Sinnestäuschungen, Angst oder Schlafstörungen gemindert werden können. Wegen der Vielzahl von unerwünschten Nebenwirkungen sollten diese Medikamente möglichst sparsam und nur so lange eingesetzt werden, wie unbedingt nötig. Die medikamentöse Behandlung sollte immer durch einen Arzt erfolgen, der mit Nervenerkrankungen im Alter vertraut ist.

Zur Linderung von Beschwerden sowie bei der Verbesserung der Lebensqualität spielen nicht-medikamentöse Therapieverfahren eine wichtige Rolle. Im Anfangsstadium der Krankheit kann zur Bewältigung der Diagnose eine Psychotherapie sinnvoll sein.
Eine Vielzahl von Behandlungen zielt darauf ab, verbliebene Fähigkeiten der Kranken zu üben sowie ihr Selbstgefühl zu stärken. Dazu gehören beispielsweise Musik- und Kunsttherapie, Bewegungsübungen oder Sinnes- und Wahrnehmungsübungen wie beispielsweise „Kim-Spiele“, bei denen die Mitspielenden durch Tasten oder Riechen mit verbundenen Augen Gegenstände erraten müssen. Wichtig bei diesen Maßnahmen ist, dass sie sich an den vorhandenen Fähigkeiten und Bedürfnissen der Kranken orientieren, ihren lebensgeschichtlichen Hintergrund berücksichtigen und dass Leistungsdruck vermieden wird.

Die Patient(inn)en sind aufgrund ihrer Krankheit immer weniger in der Lage, sich ihrer Umgebung anzupassen und ihren Alltag bewusst zu gestalten. Deshalb hängt ihr Wohlbefinden in großem Maße davon ab, wie sich die Umwelt auf ihre Beeinträchtigung einstellt. Die Anpassung der äußeren Umstände an die Erlebenswelt der Demenzkranken wird als „Milieu-Therapie“ bezeichnet.