Sozialgesetzbuch (SGB) - Viertes Buch (IV)
- Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung -

vom 23. Dezember 1976

Einführung

Dieses Buch versteht unter dem Begriff der Sozialversicherung primär die Kranken-, Unfall-, Renten- und Pflegeversicherung, § 1 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Nach § 1 Abs. 1 Satz 2 SGB IV gelten die Vorschriften des Buches IV mit wenigen Ausnahmen jedoch auch für das im Buch III geregelte Recht der Arbeitsförderung und damit auch für die Arbeitslosenversicherung. Hinsichtlich des Geltungsbereichs sind die §§ 4 und 5 SGB IV zur sog. Aus- und Einstrahlung bedeutsam. Allerdings ist § 6 SGB IV zu beachten, wonach - was an sich selbstverständlich ist - Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts unberührt bleiben. Damit sind vor allem das EG-Recht und die völkerrechtlichen Verträge gemeint, so dass für eine Anwendung der §§ 4 und 5 SGB IV letztlich nur noch wenig Raum bleibt.
Große Bedeutung haben die §§ 7 ff. SGB IV. So befaßt sich § 7 SGB IV mit dem Begriff "Beschäftigung", der deshalb von besonderer Relevanz ist, weil Beschäftigte in den verschiedenen Zweigen der Sozialversicherung pflichtversichert sind. Der Beschäftigungsbegriff wird dabeii mittels der von der Rechtsprechung entwickelten Merkmale "Weisungsabhängigkeit" und "Eingliederung in die Arbeitsorganisation" bestimmt. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass unter den inn § 7 Abs. 1 a SGB IV genannten Voraussetzungen eine Beschäftigung und damit Versicherungspflicht auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer im Rahmen von flexiblen Arbeitszeitregelungen beispielsweise während eines "Sabbatjahres" oder im"Vorruhestand" von der Arbeitsleistung freigestellt ist.
Durch die von der "Hartz-Kommission" initiierten Reformgesetze zur Verbesserung des Arbeitsmarktes sind die sog. geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, die sozialversicherungs- wie auch steuerrechtlich privilegiert sind, mit Wirkung ab 01.04.2003 völlig neu geregelt worden. Geringfügig und damit - außer in der Unfallversicherung - versicherungsfrei ist nach § 8 Abs. 1 SGB IV eine Beschäftigung zunächst dann, wenn sie kurzzeitig ist, nämlich entweder auf längstens zwei Monate oder 50 Arbeitstage im Jahr begrenzt ist, nicht berufsmäßig ausgeübt wird und das Entgelt 400 € im Monat nicht übersteigt. Wesentlicher ist die zweite Fallgruppe der Dauerbeschäftigungsverhältnisse: Hier liegt versicherungsfreie Geringfügigkeit vor, wenn das monatliche Arbeitsentgelt 400 € nicht übersteigt. Die frühere zeitliche Grenze von höchstens 15 Wochenstunden gilt nicht mehr. In der Praxis wichtig ist die Frage, wie bei mehreren Beschäftigungsverhältnissen nebeneinander verfahren wird:

Erster Grundsatz: Mehrere geringfügige wie auch Hauptbeschäftigungen werden zusammengerechnet, so dass die Versicherungsfreiheit dann entfällt, wenn der Beschäftigte insgesamt mehr als 400 € verdient.

Zweiter Grundsatz: Wenn ein Arbeitnehmer nur eine einzige Nebenbeschäftigung bis zu 400 € neben einer Haupttätigkeit ausübt, wird diese nicht berücksichtigt und bleibt versicherungsfrei.

Trotz Versicherungsfreiheit besteht (bei Entgeltgeringfügigkeit, nicht bei Kurzzeitbeschäftigung) eine Beitragspflicht der Arbeitgeber: Diese haben eine pauschale Sozial- und Steuerabgabe in Höhe von 25% zu leisten (12% Rentenversicherung, § 172 Abs. 3 SGB VI, 11% Krankenversicherung, § 249b S. 1 SGB V, 2% Pauschalsteuer, § 40a II EStG).
Diese Beitragspflicht beschränkt sich allerdings im Hinblick auf die Krankenversicherung auf diejenigen geringfügig entlohnten Arbeitnehmer, die bereits anderweitig in ihr versichert sind (vgl. § 249b Satz 1 SGB V: "für Versicherte"), was z.B. bei den über § 10 SGB V mitversicherten Familienangehörigen der Fall ist. Keine Beitragspflicht entsteht demnach u.a. bei Beamten sowie privat krankenversicherten Selbständigen bzw. Arbeitnehmern, die nur einer geringfügig entlohnten Beschäftigung nachgehen. Infolgedessen resultieren aus den von den Arbeitgebern entrichteten Beiträgen keine zusätzlichen Leistungsansprüche, weil den anderweitig in der gesetzlichen Krankenversicherung Versicherten schließlich schon unabhängig von der geringfügig entlohnten Beschäftigung Krankenversicherungsschutz zuteil wird.
In der gesetzlichen Rentenversicherung wirken sich die Beiträge dagegen auf die Rentenhöhe aus, da für das ihnen zugrunde liegende Arbeitsentgelt nach § 76b SGB VI Zuschläge an Entgeltpunkten ermittelt werden. Ferner wird die geringfügig entlohnte Beschäftigung nach Maßgabe des § 52 Abs. 2 SGB VI bei der Wartezeit berücksichtigt. Will der Arbeitnehmer darüber hinaus in den Genuß des vollen Leistungsspektrums der Rentenversicherung kommen, hat er nach § 5 Abs. 2 SGB VI die Möglichkeit, auf die Versicherungsfreiheit zu verzichten mit der Folge, dass er wie jeder andere Versicherte auch behandelt wird. Er ist dann aber verpflichtet, den Arbeitgeberbeitrag von 12% auf den vollen Beitragssatz aufzustocken (§ 168 Abs. 1 Nr. 1b SGB VI; ferner § 163 Abs. 8 SGB VI).
Um zu verhindern, dass bei gewissen Überschreitungen der 400 €-Grenze nicht sogleich die volle normale Beitragspflicht eingreift, sieht § 20 Abs. 2 SGB IV eine Gleitzone bis 800 € vor, innerhalb derer die Beiträge stufenweise ansteigen. - Eine komplizierte Sonderregelung besteht für geringfügige Beschäftigung in Privathaushalten, die - da hier Schwarzarbeit bekanntlich besonders verbreitet ist - noch stärker begünstigt werden.
Die komplizierten Bestimmungen der §§ 18a ff. SGB IV haben für die Anrechnung von eigenem Einkommen bei Bezug von Renten aus der Unfall- und Rentenversicherung Bedeutung. § 18f SGB IV ist eine datenschutzrechtliche Regelung, die die Verwendung der Versicherungsnummer betrifft.

Die §§ 20 ff. SGB IV enthalten allgemeine Bestimmungen über die Beiträge, z.B. über Verzinsung und Verjährung. In diesem Zusammenhang gehören auch die §§ 28d ff. SGB IV. Sie betreffen "Verfahren und Haftung bei der Beitragszahlung" und regeln insbesondere, wie der sog. Gesamtsozialversicherungs-beitrag - also die Beiträge zur Kranken-, Renten-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung - durch die Krankenkasssen als den sog. Einzugsstellen eingezogen und weitergeleitet werden.

Das in der Praxis sehr bedeutsame Meldewesen einschließlich des Sozialversicherungsausweises ist in den §§ 28a ff. SGB IV geregelt. Für in privaten Haushalten Beschäftigte gilt eine vereinfachte Meldung, § 28a Abs. 7 SGB IV, sowie ein vereinfachtes System des Beitragseinzugs, § 28h Abs. 3 und 4 SGB IV.

Der Vierte Abschnitt mit den §§ 29 ff. SGB IV ist dem Organisationsrecht der Kranken-, Pflege-, Unfall- und Rentenversicherung gewidmet, während sich die Bestimmungen zur Organisation der Arbeitsförderung und Arbeitslosenversicherung im SGB III befinden. § 29 Abs. 1 SGB IV definiert die Sozialversicherungsträger (Krankenkassen, Berufsgenossenschaften, Landesversicherungsanstalten usw.) als rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung. § 31 SGB IV sieht daher als oberstes Organ der Versicherungsträger die Vertreterversammlung vor, die die "Satzung und sonstiges autonomes Recht" beschließt, § 33 Abs. 1 SGB IV. Allerdings bestehen in Anbetracht der detaillierten gesetzlichen Bestimmungen heute nicht mehr viele Regelungsfreiräume. Dementsprechend gering ist auch das Interesse der Versicherten an den Wahlen zu den Vertreterversammlungen, die alle sechs Jahre durchgeführt werden und sie in den §§ 45 ff. SGB IV geregelt sind. Häufig enthalten die Vorschlagslisten im übrigen nur so viele Namen, wie Vertreter zu wählen sind, die dann als gewählt gelten, so dass das umständliche (und kostspielige) Wahlverfahren entfällt, § 46 Abs. 3 SGB IV. Erleichtert werden die Sozialwahlen dadurch, dass sie in aller Regel in Form der Briefwahl durchgeführt werden, § 54 Abs. 1 SGB IV.

Die Vertreterversammlungen sind i.d.R. paritätisch aus Vertretern der Versicherten und der Arbeitgeber zusammengesetzt (wichtige Ausnahme: bei den Ersatzkassen gibt es im Verwaltungsrat nur Vertreter der Versicherten, § 44 Abs. 1 Nr. 4 SGB IV).
Neben den Vertreterversammlung gibt es den ehrenamtlich tätigen Vorstand und den hauptamtlichen Geschäftsführer, § 31 Abs. 1 SGB IV. Beide werden von der Vertreterversammlung gewählt. Der Vorstand vertritt den Versicherungsträger gerichtlich und außergerichtlich, soweit nicht der Geschäftsführer zuständig ist, was auf die laufenden Verwaltungsgeschäfte zutrifft, §§ 35, 36 SGB IV.

Im Bereich der Krankenversicherung sind für die Verwaltungsorganisation wesentliche Abweichungen von den soeben skizzierten Grundsätzen zu beachten: Der Vertreterversammlung entspricht der Verwaltungsrat, der aus maximal 30 Mitgliedern besteht, §§ 31 Abs. 3a, 43 Abs. 1 Satz 2 SGB IV. Und die Verwaltung der Krankenkassen obliegt nicht einem (unbefristet angestellten) Geschäftsführer, sondern einem hauptamtlichen,jeweils für 6 Jahre gewählten Vorstand.

In den §§ 67 ff. und 80 ff. SGB IV sind das Haushalts- und Rechnungswesen sowie die Verwaltung des Vermögens geregelt. §§ 87 ff. SGB IV enthalten wichtige Bestimmungen über die staatliche Aufsicht der Versicherungsträger, die als Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung zur sog. mittelbaren Staastverwaltung gehören. I.d.R. besteht lediglich eine Rechts-, keine Fachaufsicht des Staates. In den §§ 91 ff. SGB IV sind die Versicherungsbehörden (nämlich die regional zuständigen Versicherungsämter und das Bundesversicherungsamt) und ihre Aufgaben geregelt.